Flucht und Heimkehr als Kunstprodukt: „Exodus“ im Teamtheater Tankstelle - Süddeutsche Zeitung, 26.05.08

Zurzeit muss alles authentisch sein. Das Theaterprojekt „Exodus“ im Teamtheater Tankstelle will die Gründe und Umstände untersuchen, weshalb Menschen ihre Heimat hinter sich lassen und in ein neues Land aufbrechen. Europäische Theatermacher haben sich dazu in ihrer Umgebung umgehört und Leute aufgespürt, deren Geschichten sie für erzählenswert hielten. Björn Potulski hat nun die Menschen und ihre Geschichten gepackt und daraus einen 70-minütigen Abend gebastelt, mit dem er gerade durch mehrere Städte tourt. Die vier Protagonisten treten nacheinander auf die bis auf einen Stuhl leere Bühne und geben in ihrer Muttersprache jeweils Häppchen ihres Schicksals preis, begleitet von der Live-Musik Nélida Béjars, bizarr-schöen Geigen und Samplerklängen. Das Spannende an diesem Abend ist die Konfrontation mit ganz unterschiedlichen Schicksalen. Da ist der Grieche, der für die Bewahrung eines 3000 Jahre alten Dialekts in Italien kämpft, dann der UÇK-Soldat, der die Rückkehr in sein zerstörtes Heimatdorf schildert. Dadurch öffnet sich der kleine Bühnenraum gleichsam der Welt und gibt einem das Gefühl für all die wilden Dinge, die Menschen auf der Flucht oder bei ihrer Heimkehr durchmachen. Hinzu kommt eine Webcam-Live-Schaltung nach Jerusalem, wo ein polnischer Regisseur einen Musiker interviewt. Die Freude darüber währt kurz, weil das ungeprobte Gespräch sich schnell i Belanglosigkeiten verliert. Doch dann darf man seine Aufmerksamkeit wieder dem leibhaftigen Geschehen zuwenden: Ein Flüchtling aus dem Kongo erzählt, wie er kurz vor dem Verdursten vor Malta aus dem Meer gefischt wird, und neben ihm steht einer von der maltesischen Küstenwache, der damals sein Retter gewesen sein könnte. Eine bewegende Begegnung - nicht nur für die beiden. WILLIBALD SPATZ